„Die Chorwand der kath. Kirche in Altrip“ von Clemens Jöckle

aus dem Jahrbuch des Vereins für christliche Kunst, Band XV 1985, S. 195-200

mit freundlicher Genehmigung des Vereins für christliche Kunst München

 

Clemens Jöckle: Die Chorwand der kath. Kirche in Altrip

 

Die unbefriedigende Situation der gegenwärtigen religiösen Kunst im Kirchenraum, die sich in theologisch zwar korrekten Arbeiten äußert, denen aber künstlerische Qualität leider häufig abgeht, hat zu einem Sonderbereich liturgischer Gebrauchs­kunst geführt, weil im heutigen Kirchenbau in der Regel nur die Gestaltung von Al­tarantependium, Ambo und Tabernakelstele einem Künstler überlassen wird. Dieses Kunstgewerbe ist häufig von der allgemeinen Entwicklung der bildenden Kunst der Gegenwart abgekoppelt.

Es gibt nur wenige Beispiele, wo nach dem II. Vatikanischen Konzil monumentale Wandgestaltungen oder großflächige Fensterzyklen in Auftrag gegeben worden sind. Darum verdient mutiges kirchliches Engagement auf dem Feld der Gegenwartskunst besondere Beachtung. Die katholische Pfarrgemeinde Altrip im Bistum Speyer be­sitzt einen Kirchenbau aus dem Jahr 1955. Der Ort, auf ein römisches Kastell am Hochufer des Rheines zurückgehend, gehört zum Einzugsbereich der Großstädte Ludwigshafen/Mannheim und dient diesen als Naherholungsgebiet. Die katholische Pfarrei zählt 1490 Katholiken unter 4023 Nichtkatholiken. Trotz der Diasporasitua­tion wollte man bei der durch das II. Vatikanische Konzil notwendig gewordenen Umgestaltung des Chorraumes weg von der Nüchternheit der Wiederaufbauzeit. Man gab dem Münchener Künstler Manuel Thomas den Auftrag, die großflächige, durch das Vorziehen des Altares leere Chorwand zu gestalten.

Manuel Thomas (geb. 1940 in Speyer) studierte nach dem Abitur an der Münchener Akademie bei Jean Deyrolle und am Mainzer Institut für Kunst- und Werkerziehung. In München belegte er an der Universität die Fächer Philosophie, Germanistik und Theaterwissenschaften. Neben sein zeichnerisches und malerisches Œuvre treten eine Reihe von Gedicht- und Prosabänden, die der Künstler selbst illustrierte.

Das formale Problem der Wandfläche löste der Künstler im Sinne eines Wandretabels, das aus sieben einzelnen Tafeln besteht, die in zwei Reihen zu vier Tafeln unten und zu drei Tafeln darüber gruppiert sind. Die Mitteltafel besitzt das doppelte For­mat der sie flankierenden Tafeln und nimmt den gestalterischen Mittelpunkt ein.

Das theologische Programm der 1980/81 geschaffenen Chorwandbilder wurde in einer intensiven Diskussion zwischen dem damaligen Ortspfarrer Albert Kraus (geb. 1928 in Lautzkirchen, seit 1958 Priester, von 1962 bis 1982 Pfarrer in Altrip, jetzt Pfarrer in Limburgerhof), dem Künstler und den Gläubigen der Gemeinde bespro­chen und festgelegt. In die Überlegungen waren die Mitglieder der Pfarrei von Anfang an einbezogen worden, um Widerstände gegen das Kunstwerk im Vorfeld ausräumen zu können und eine Identifikation der Gläubigen mit der Neugestaltung der Kirche auf möglichst breiter Ebene zu erreichen. Dies geschah durch thematische Predigten des Pfarrers zu den Entwürfen, durch Vorträge, unter anderem von Prof. Wolfhart Pannenberg, und Diskussionsabende mit den vorhandenen Gruppierungen (Senioren, Frauenbund, KAB etc.). Polemiken sind innerhalb der Pfarrei so nicht aufgekommen.

Das Thema der Chorwand ist die verwandelnde Erlösung des Menschen. Theologisch gesehen ist die Erlösung1 nach sämtlichen biblischen Zeugnissen Erlösung der Welt, die als Ganzes in Unordnung geraten ist. Dabei kann der Mensch, von sich aus erlösungsbedürftig, die Verfallenheit seiner Situation nicht begreifen. Weil die Ver­wirklichung des Heiles noch nicht vollendet ist, illustriert die Situation des heutigen Menschen die Verfallenheit, einen durch die Urschuld herbeigeführten Zustand. Für den Künstler ist das Geheimnis der fehlenden Mitte der erlöste Mensch, da die Erlösung durch Christus objektiv vollzogen wurde, aber die Verwirklichung des Heiles nicht vollendet ist.

Entsprechend sind in der unteren Zone menschliche Situationen geschildert, die aufzeigen, daß dem Menschen, der sich zum absoluten Herrn über sein Werk machen will, eben dieses Werk entglitten ist und ihm zum Feinde wird. So sind die beiden äu­ßeren Tafeln „zerstörte Stadt" und „gebrandschatzte, ausgenutzte Erde" zu inter­pretieren. Dazu gesellt sich stellvertretend für den alttestamentlichen Erlösungsgedanken der leidende Hiob, nicht nur wegen seines Ausspruchs nach der Lutherübersetzung (Hiob 19,25), „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt", sondern auch weil im selben Buch (5,20) das Bild vom Loskauf des Gottesvolkes aus der Knechtschaft gebraucht wird, das keines Kaufpreises bedarf, weil Gott als Herr der Schöpfung aus Gnade erlöst hat.

Neben Hiob steht das Vesperbild als Hinweis, daß zwischen gegenwärtigem Heilsanbruch und der künftigen Vollendung Jesu Tod stehen muß, den er „pro multis" auf sich genommen hat. Dieser Gedanke ist auch für das eucharistische Kelchwort wichtig, weil hier Jesus mit dem Ausströmen des Blutes für die Sünden der Menschen gewirkt hat. Im Empfang der Gaben des eucharistischen Brotes und des Weines erhalten sie Anteil an der Versöhnungskraft des Todes Jesu.

In der oberen Zone sind zwei apokalyptische Bilder als Hinweise auf die Vollendung der Erlösung bei der Wiederkunft Christi dargestellt, bei der sich Christus, der Herr der Geschichte, als Sieger über Tod und Leid erweisen wird. Manuel Thomas hat dies im Paradigma des Paradiesbaumes und des Himmlischen Jersualem gezeigt: Beide stehen pars pro toto und als Gegensatz zur zerstörten Erde für eine verheißene, nicht mehr zerstörbare Welt.

Die große Mitteltafel ist in ihrer Aussage mehrdeutig. Sie führt einerseits den erlö­sten Menschen vor Augen, den das Erlöserwirken Christi vom verfallenen zum für Gott liebenswerten Menschen gemacht hat. Andererseits zeigt sich der „erlöste Mensch" als „Christusidentifikation", die dadurch möglich wird, daß der Erlöser im Fleisch des gefallenen Menschen erschienen ist und die gefallene erlösungsbedürftige Menschheit in eine personale Einheit mit dem göttlichen Logos aufgenommen hat. Als Abbild des Vaters und Herr der Schöpfung wird er zum Erlöser. Uber die Gleichstellung mit Christus, der das Ebenbild Gottes ist, werden wir durch die Erlö­sung zu neuen Menschen. Unsere neue Gottesebenbildlichkeit ist eine neue Schöp­fung. Auch diese theologische Aussage sucht Manuel Thomas in seine Gestalt des er­lösten Menschen zu integrieren. Für den Künstler gilt dabei die paulinische Lehre von der Gottesebenbildlichkeit nach 2 Kor. 3,17, wo der Christus ebenbildliche Mensch der „neue Mensch" genannt wird. Als Bildträger wählte der Künstler die Adam-Christus-Parallele; sie wird in das Künftige projiziert, wenn wir das Bild des himmlischen Menschen nach 1 Kor. 15,49 an uns tragen werden. Zusammenfassend wurden also der unteren Tafelreihe mit Krieg, Krankheit, Tod und mißbrauchter Natur die Bilder der verwandelten Erlösung gegenübergestellt: die unzerstörbare Stadt (Neues Jerusalem), die wiederhergestellte Schöpfung (Paradies) und der neue Mensch.

Mit diesem knapp umrissenen theologischen Programm wurde eine tiefgreifende und das Leben der Gemeinde auf das Leben der künftigen Herrlichkeit ausrichtende, hoffnungsvolle Aussage in den Mittelpunkt gestellt. Wichtig war es, diese Botschaft in allgemein verständlicher Weise zu vermitteln. Bei der künstlerischen Gestaltung dieses Themas wußte Manuel Thomas, daß er hier nicht die theologische Aussage von der zeitgenössischen künstlerischen Entwicklung abschotten durfte, weil sonst die Inhalte keine Signalwirkung mehr besitzen, sondern daß er Zeichen und Formen verwenden mußte, die dem Betrachter und Kirchenbesucher unter die Haut gehen.

Dabei sind die Auswahl und Umformung traditioneller Sujets für diese Altarwand charakteristisch. Die Tafel ,,zerstörte Stadt" greift vertraute Landschaftsmotive auf, wie beispielsweise in Caspar David Friedrichs Sepiazeichnung „Felsentor im Utten­ walder Grund" um 18012. Diese erhabene Landschaft mit dem mächtigen Felsenspalt erzielt eine emotionale Wirkung und wird, wie Helmut Börsch-Supan darlegen konnte, zu einer religiösen wie ästhetischen Metapher. Dennoch ist in diesem Motiv ein Keim des zerstörerischen Wirkens in der Natur enthalten. Die bröckelnden Fels­ spalten, bei Friedrich zur Metapher des Vergänglichen geworden, erscheinen in der Chorwand von Altrip verselbständigt und hervorgehoben als Symbol des Zusammenstürzenden und Versinkenden. Vom Erhabenen zum Zerstörerischen ist nur ein kleiner zeichnerischer Schritt. Das anschauliche Versinken der Stadt erzielte Thomas durch die Aussparung der Grundfläche. Ist bei Friedrich noch klein im Felsentor ein Menschenpaar erkennbar, wirkt die zerstörte Stadt verlassen. Thomas läßt offen, wer der Zerstörer war. Nur das Resultat wird in seiner grausamen Tristesse vor Augen geführt.

 

Der leidende Hiob liegt mit schwärenden Wunden des Aussatzes behaftet vor uns. Für zahlreiche mittelalterliche Künstler galt das Leiden Hiobs als Präfiguration für Christi Passion3. Diese ikonographische Tradition hat Manuel Thomas aufgegriffen, wenn der leidende Hiob neben dem Vesperbild plaziert wird. Thomas greift bei der Charakterisierung der Gesichtszüge nicht den byzantinischen und mittelalterlichen Typus des bärtigen alten Mannes mit langem Haar auf, sondern schildert vielmehr die Kraftlosigkeit und Mattigkeit des seinem Leiden hingegebenen Menschen. Die Gestalt des Hiob erinnert an solche der „Woman“-Serie von Willem de Kooning4, weil Manuel Thomas wie de Kooning seiner Figur expressive Kraft verleihen kann - eine Kraft, die Manuel Thomas aus dem Malakt selbst zieht.

Aus der traditionellen Ikonographie wurde der Typus des Vesperbildes mit dem waagrecht liegenden Christus, dessen Beine am Boden aufstehen5, übernommen. Freilich sind die Gesichter Mariens und Jesu merkwürdig verschattet - graphisches Lineament dominiert gegenüber dem Malerischen. Thomas wählte das Vesperbild für die Darstellung des dem Tod ausgelieferten Menschen. Christus partizipiert am Leiden und dem zerbrochenen Menschenbild der Gegenwart. Erst mit dieser Tafel zählt Manuel Thomas' Wandgestaltung zu den maßgeblichen Werken, die in radikaler Weise den unerlösten Zustand der Welt herausstellen. Im Grunde legitimiert Manuel Thomas mit dem Vesperbild die folgende Tafel der ,,gebrandschatzten ausgenutzten Erde", weil durch die Fraglichkeit das aufgezeigt werden kann, was Paul Tillich mit dem Begriff des „Risses" zu definieren suchte: die Partizipation der künstlerischen Darstellung am Krisenbewußtsein und der Zerrissenheit des Lebens6. Die Mittel, die angewandt werden, um zu dem letzten Grenzpunkt zu gelangen, wo Verenden und Agonie der Erde in eine neue Geborgenheit übergeführt werden können, sind male­risch. Hier wird mit Farbemotionen gearbeitet. Die Melancholie der violetten, grau­en und braunen Farbklänge am rechten Rand der unteren Reihe stehen in Kontrast zu den hoffnungsfrohen Farben der oberen Tafeln.

Die „gebrandschatzte Erde" ist keine Landschaftsdarstellung im üblichen Sinne, obwohl analog zur „zerstörten Stadt" die traditionellen Versatzstücke eines Landschaftsaufbaus, nämlich räumliche Tiefe, Horizont und Himmel, gestaltet sind, denn ihre so aufgebauten Formen zerfließen. Es geht bei Manuel Thomas nicht um die Feststellung einer realen Bedrohung der menschlichen Lebenswelt, sondern um eine appellative Analogie, die das Problem mit Engagement und Entschiedenheit bewußt macht. Wolfhart Pannenberg nannte diese Landschaftsgestaltung von Manuel Thomas die „Verbindung abstrakter Linienführung und Farbkomposition mit einem verhaltenen Gegenstandsbezug, wie ihn das inkarnatorische Motiv christlicher Kunst fordert".

Vergleichen wir die beiden Landschaftsbilder der „zerstörten Stadt" und der „ge­brandschatzten Erde" miteinander, so fällt auf, daß von der einst im Landschaftsbild ausgedrückten Beziehung des Menschen zur Natur, von einer organischen Ganzheit nicht einmal mehr Spuren zurückgeblieben sind. Thomas führt Ruinen der bisherigen Anschaulichkeit vor Augen und zeigt so, daß nicht nur der Naturbezug des Men­schen gestört ist, sondern die Landschaft selbst zum Symbol für die Bedrohung des Menschen geworden ist7.

Im Gegensatz zur sonstigen Landschaftsmalerei nach 1945, für die beispielhaft H. A. Schuh mit seinem „Biokinetischen Industriecamp" von 1965 genannt sei, bleibt Manuel Thomas nicht bei der kritischen Ikonographie im Sinne des Abbildes tatsäch­licher Verhältnisse stehen, sondern zeigt eine theologisch bewertete Verheißung, de­ren Darstellung genau über den beiden Landschaftsbildern plaziert ist. Das Himmlische Jerusalem steht für die nicht mehr zerstörbare Stadt.

Herrschte in den Gemälden der unteren Reihe ein violetter und grauer Grundton vor, so ist in der oberen Zone Rot-Gold als dominanter Farbklang gewählt. Die ikonographischen Vorbilder (etwa die Stadtdarstellungen in Mosaikzyklen) treten hier zugunsten einer Gegenüberstellung mit der zerstörten Stadt in der Zone darunter zurück. Der Friedrichsche Bildvorwurf erscheint hier wie in einer Feiningerschen Poetisierung8. Die kubische Struktur der toten Stadt nimmt bei der Darstellung des Himmlischen Jerusalem eine kristalline Vergeistigung und Glorifikation an. Durch das abstrahierende Gefüge erscheint das Bild der Natur in einer veränderten, wieder­ erstandenen Welt. Visuelle „Dichtung" in lichter Geometrie lassen die theologischen Aussagen diaphan werden. Der Kontrast zur toten Stadt darunter kann nicht größer sein. Dort, wo bei der „zerstörten Stadt" In-unergründliche-Tiefe-Versunkenes vor uns steht, erscheint bei der Himmelsstadt ein Tor.

Eine Parallele läßt sich bei der zerfließenden, verwelkten und zerstörten Erde und dem kraftvoll in Blüte stehenden Paradiesbaum ausmachen. Verwelken und Erblühen werden als Gegensatzpaar dargestellt. Ikonographisch greift Thomas auf das heidnischer Jenseitsvorstellung verwandte Paradiesidyll zurück, zu dessen Illustration aus der spätantiken Bukolik bekannte Gartenmotive verwendet werden, wie Bäume, Blumen und Girlanden, aber auch Vögel. Seine Hauptquelle ist jedoch die Genesis 2,8 ff, in der ein blühender Garten mit Bäumen und Früchten geschildert wird, der dann - anklingend an die spätjüdische Apokalyptik im Buch Henoch - vom Seher auf Patmos (22,1-2) als Garten mit dem Lebensbaum beschrieben wird9.

So betrachtet, ergibt sich neben der theologischen Programmatik ein visuelles Gespinst mehrdeutiger Tafeln, die unterschiedlich aufeinander bezogen werden können und dann überraschende, neue Perspektiven eröffnen. Wir haben zwar Titel, die uns helfen, den Sinn der Tafeln zu entschlüsseln, aber wir erkennen zugleich die viel­schichtige Bedeutung besonders jener Bilder, die zwischen der literarischen Aussage der Theologie und der Mehrdeutigkeit der künstlerischen Fonn stehen. Dies liegt daran, daß ein Bild tiefer ins einzelne geht als eine sprachliche Programmatik. Sie dient dem Künstler lediglich zur Anregung seiner Phantasie und eröffnet ihm weitere Dimensionen. Es ist darum umgekehrt sehr schwierig, aufgrund der Bildaussage den zugrunde liegenden Text zu rekonstruieren, sei er ein exegetisches oder spekulativ­dogmatisches Traktat.

Manuel Thomas geht in dieser Altarwand zwei Wege der Verbildlichung seiner Aussage, zunächst den der Metapher und dann den der Assoziation. Über den uner­lösten Zustand der Erde ist etwas erfahrbar, wenn man sich deiktischen Zeichen für Zukünftiges öffnet. Damit überschreitet man das rein Deskriptive hin zu einer Verheißung, sei es beim Schaffensvorgang des Künstlers oder beim Nachvollzug des Be­trachters. Zugleich überhöht Manuel Thomas die assoziativen Bilder im Nachdenken über den Sinn des Wortes Gottes. Dabei ist der Künstler Thomas von Aquin verpflichtet, der schreibt: „Ein Ding kann nämlich mit vielem Ähnlichkeit besitzen; aus diesem Grunde ist es unmöglich, von irgendeinem in der Heiligen Schrift erwähnten Ding zu einem eindeutigen Sinn fortzuschreiten. So kann beispielsweise der Löwe aufgrund einer bestimmten Ähnlichkeit den Herrn bedeuten und aufgrund einer an­ deren den Teufel". In der Altriper Altarwand steckt im Grunde die scholastische Technik, mittels der Sinnstruktur, die es immer neu zu deuten gilt, Antwort auf von Natur und Geschichte gestellte Probleme zu finden10.

Stilistisch gesehen, verhalten sich die Tafeln der Chorwand zu formalen Problemen souverän unabhängig. Fahriges Netz von Strichen, skizzenhaft aufgetragene Farben und eilige Notate einer aufkommenden inneren Bildflur ergeben einen expressiven Kontemplatismus, der sich bemüht, aus den Wunden der Welt die dennoch innewohnende Vielfalt des Malerischen herauszuholen. Die Chorwand ist in diesem Sinne eine Antwort auf die Feststellung Peter Steiners11, daß mit der Abkehr der katholischen Kirche von der begrifflichen Theologie der Neuscholastik Farbe und Monu­mentalmalerei abgeschüttelt wurden, und auf seine dann besorgte Frage, ob und auf welchem gestalterischen Niveau sich aktuelle Kunst und Kirche treffen können. Altrip weist den Weg dorthin und belegt, daß es des engagierten Künstlers und des klugen Theologen bedarf, damit Ängstlichkeiten auf dem Feld kirchlicher Kunst überwunden werden können. Zeitgenössische religiöse Kunstwerke von Rang außerhalb der Kirchen sind alarmierende Zeichen.

Quellenangabe

1 KARL RAHNER, Erlösung, in: Sacramentum Mundi 1, 1967., 1159-1176; ders., Der eine Mittler und die Vielfalt der Vermittlungen, in: Schriften zur Theologie VlII, 1967, 218-235; W. DETTLOFF, Erlösung, in: Handbuch theologischer Grundbegriffe (Band I Taschenbuchausgabe), München 1970, 337-353.

2 Essen, Museum Folkwang (Inv. Nr. C 21/36). HELMUT BÖRSCH-SUPAN/KARL WILHELM JÄHNIG, Caspar David Friedrich. Gemälde, Druckgraphik und bildmäßige Zeichnungen, München 1973, Nr. 77. Vgl. auch RAINER VOLP, Die Metamorphose der Bildwelt - eine Herausforderung an die Religion, in: Zeichen des Glaubens - Geist der Avantgarde, Stuttgart 1980, 36-37.

3 GERT VON DER OSTEN, Job and Christ, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 16, 1953, 153-158.

4 Willem de Kooning - The North Atlantic Light, Amsterdam-Humblaek-Stockholm 1983 (Bibliographie S. 126-128).

5 WALTER PASSARGE, Das deutsche Vesperbild im Mittelalter, Königstein 1924.

6 Vgl. PAUL TILLICH, Die Kunst und das Unbedingt-Wirkliche, in: Gesammelte Werke Bd. lX: Die religiöse Substanz der Kultur, Stuttgart 1968.

7 Hierzu und zum folgenden Abschnitt vgl. ROLF WEDEWER Landschaftsmalerei zwischen Traum und Wirklichkeit, Idyll und Konflikt, Köln 1978, 221 ff.

8 Diesen Aphorismus prägte WERNER HAFTMANN (Malerei im 20. Jahrhundert, München 1962, 345).

9 Vgl. Johanna FLEMMING, Gärten der Ewigkeit, in: Das Münster 19, 1966, 449-464; HUBERT SCHADE, Das Paradies und die Imago Dei, Berlin 1966, 79-182.

10 ERNST H. GOMBRICH, Ziele und Grenzen der Ikonologie, in: Ekkehard Kaemmerling, Bildende Kunst als Zeichensystem 1, 1979, 377 ff, bes. 408.

11 PETER BERNHARD STEINER, Malerei im Kirchenraum - München 1890-1940, in: ,,München leuchtete" - Karl Caspar und die Erneuerung christlicher Kunst in München um 1900, München 1984, 73 ff; bes. 89.

Bildnachweise:

Schematische Darstellung: Johannes Heitz, Altrip nach Graphik in: "Die Chorwand der kath. Kirche in Altrip", Clemens Jöckle, Jahrbuch des Vereins für Christliche Kunst, Band XV, 1985

Bilder: Manfred Heitz, Altrip